Ich habe Schreibschrift-Fonts gehasst. Sie sahen klobig aus. Der Abstand und das Kerning waren immer daneben, und nur sehr wenige Schreibschrift-Fonts hatten alternative Buchstabenformen – das eine Element, das sie (zumindest ein wenig) realistischer hätte aussehen lassen können. Ich habe gespürt, dass die meisten von ihnen zunächst auf einer schrecklichen Handschrift basierten und dann noch schlimmer aussahen, wenn die Umrisse ohne Fachkenntnisse gerendert wurden.
Als ich darauf angesprochen wurde, eine Schreibschrift-Font für den Landschaftsmaler Tony Foster zu entwickeln, die als Stilelement für sein Buch verwendet werden sollte, hat mich das Projekt anfangs nicht interessiert. Dann besann ich mich eines besseren.
Nur weil andere Schreibschrift-Fonts schlecht waren, bedeutete das nicht, dass sie alle so sein mussten. Und wenn ich eine entwerfen würde, könnte sie anders sein. Ich nahm das Projekt an, und damit eine große Herausforderung. So begann ein langer Weg, bei dem ich herausfinden sollte, was eine Handschrift authentisch aussehen lässt.
Tony ist bekannt für seine handschriftlichen Notizen, die mit jedem von ihm geschaffenen Gemälde einhergehen. Dies war ein wesentliches Element, damit sich dieses Buch persönlich und rundum gelungen anfühlte. Die Handschrift ist für jeden Einzelnen etwas sehr Individuelles. Aber gerade die kleinen Dinge, die sie einzigartig machen, sind praktisch universell.
Als ich Tonys Handschrift studierte, habe ich sofort festgestellt, dass er beim Schreiben, wie viele Menschen, die Buchstaben nur halb miteinander verband. Außerdem sahen viele seiner Buchstabenformen völlig anders aus – je nachdem, was folgte. Es gab bis zu vier Variationen eines Buchstabens, je nachdem, wo er gesetzt wurde: am Anfang eines Wortes, am Ende eines Wortes, in der Mitte eines Wortes und ob er mit einem anderen Buchstaben verbunden wurde oder nicht.
Um eine Schrift aus seiner Handschrift zu entwickeln, musste ich:
1. Alle Variationen jedes einzelnen Buchstabens ermittlen.
2. Ermitteln, inwiefern und in welchem Fall sie sich unterschieden.
3. Die Ligaturen für jeden Fall entwickeln
oder (falls sie seltener vorkamen),
eine a) alternative Buchstabenform entwickeln und
b. eine Reihe von Regeln festlegen/programmieren, die in der Funktion für kontextbezogene alternative Darstellungen verwendet werden sollen.
Ich habe alles, was Tony in seinen Handschriftmustern geschrieben hatte, eingetippt und indiziert. Dann entwickelte ich einen Leitfaden für die Häufigkeit von Buchstaben, um festzustellen, wie viele Variationen jedes Buchstabens ich benötigen würde. Der Rest war zeitaufwändig, aber ziemlich einfach zu bewerkstelligen.
Als ich die endgültige Schrift vorgestellt habe, bekam ich ein tolles Feedback. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass Tony es zu schätzen wusste, dass er etliche Beiträge für sein Buch nicht von Hand schreiben musste. Am stolzesten war ich jedoch darauf, dass ich damit einen Prozess in Gang gesetzt hatte, mit dem ich die individuelle Handschrift einer Person wirklich verstehen und nachahmen konnte.
Ich bin fasziniert davon, wie Menschen im Allgemeinen von Hand schreiben. Die Tatsache, dass ich über 2.000 Menschen Handschriftverfahren beigebracht habe, bestärkt mich in meiner Obsession noch! Als mir ein ähnliches Projekt angetragen wurde, freute ich mich, meine Arbeit fortsetzen zu können.
Dann wandte sich das St. Jude Kinderkrankenhaus mit dem Wunsch an mich, eine Reihe von Schreibschrift-Fonts für den internen Gebrauch für sie zu entwickeln. Und ich habe das Projekt sofort angenommen. Ich war gespannt, was ich sonst noch lernen könnte, welche zusätzlichen Prozesse ich entwickeln könnte und ob meine Erkenntnisse in Zukunft auf meine eigenen Schriften angewendet werden könnten.
Um vollständige Handschriftmuster aus diesem größeren Pool von mir zur Verfügung gestellten Handschriften zu extrahieren, musste ich eine sinnvolle Aufnahmevorlage entwickeln.
Ich begann mit „Kern King„ – einer Testzeichenfolge, die der Schriftdesigner Leslie Cabarga zusammengestellt und der Typografiegemeinschaft geschenkt hat. Sie eignet sich hervorragend zum Testen von Schriftarten, aber ich war mir nicht sicher, wie viele der Buchstabenkombinationen sie enthielt.
Meiner Meinung nach ist die Handschrift einer Person so einzigartig wie ihr Fingerabdruck. Daher hat jeder, je nach Kontext, eine individuelle Art, Buchstaben zu verbinden und Buchstabenvarianten zu schreiben. Ich brauchte die Handschriftmuster mit so vielen Buchstabenkombinationen wie möglich darin, um hundertprozentig zu erfassen, was sie so einzigartig machte.
Nach weiteren Recherchen ermittelte ich alle Kombinationen mit zwei und drei Buchstaben, die in der englischen Sprache vorkommen. Mein Ziel war es, die häufigsten 95 % dieser Kombinationen bei der Beschaffung von Handschriftmustern mit einzubeziehen. Mit dem Suchwerkzeug in Microsoft Word habe ich nach jeder Kombination gesucht und, falls es sie nicht gab, ein Wort hinzugefügt, in dem sie vorkam.
Der daraus resultierende Mustertext war 480 Wörter lang. Es hat außerdem 35 Minuten gedauert, den Text von Hand zu schreiben. Mein Assistent Dai Foldes hatte eine Idee: Der Mustertext könnte verbessert werden, wenn er sich eher wie eine Geschichte als wie eine lange Folge von Wörtern liest.
Anfangs lehnte ich diese Idee ab. Schließlich würde es eine Art Genie erfordern, um ein Dokument wie dieses zu schreiben – mit seinen aufwendigen Anforderungen an die Häufigkeit und Variationen von Buchstaben. Dann sind da ja auch noch Ziffern, die Interpunktion, Umlaute, Symbole. Und wir sollten immer noch eine Geschichte erzählen, die gleichzeitig nicht mehr als 40 Minuten in Anspruch nehmen sollte, um sie von Hand niederzuschreiben. Dai brachte jedoch ein überzeugendes Argument vor: Dies würde wahrscheinlich ein besseres Handschriftmuster zustandebringen, woraus sich am Ende eine bessere Schriftart entwickeln ließe.
Plötzlich dämmerte es mir. Ich kannte jemanden, dem Kreativität, die Liebe zum Detail und eine herausragende Kenntnis der englischen Sprache gegeben war. Einen brillanten Kopf, den es brauchte, um dieses Projekt zu übernehmen und zu Ende zu bringen.
Meine ältere Schwester hat nicht für den Studierfähigkeitstest (den amerikanischen Standard Assessment Test) gebüffelt und trotzdem nur vier Fragen falsch beantwortet. Sie hat ihren Abschluss in technischer Dokumentation an der Universität von Washington gemacht. Sie löst am liebsten alle möglichen Rätsel und ich habe schon öfter gesagt, dass sie die ideale Person ist, um mit Ihnen in einem Rettungsbunker zu sein. Ich fragte meine große Schwester, ob sie bereit wäre, dieses Mysterium mit mir zu knacken, weil ich niemanden kenne, der es hätte tun können. Sie akzeptierte.
Nur 60 Stunden später schickte sie mir den ersten Entwurf eines Meisterwerks mit dem Titel Dreamworld Carnival.
Dreamworld Carnival enthält 95 % aller auffindbaren Kombinationen mit zwei und drei Buchstaben, mindestens drei Beispiele aller Groß- und Kleinbuchstaben, zusätzlich zu Ziffern, Interpunktion, den häufigsten Symbolen und Umlauten. Außerdem habe ich die 100 am häufigsten verwendeten Wörter der englischen Sprache hinzugefügt. Der Text ist zudem traumhaft geschrieben – wie Sie selbst in diesem Auszug lesen können:
„Bitte keine Dummköpfe, abscheulichen Spinner, eingefleischten Nihilisten, wilden Spielverderber, aufsässigen Schmutzfinken, die nichts als Flüche und Gequake absondern. {Sie wissen, wer Sie sind.} Missetaten und Laxheit werden kielgeholt und erleiden für immer und ewig Schiffbruch auf einer Insel!”
Dieses Dokument hat alles für mich verändert. Dreamworld Carnival dient jetzt als Mustertext, den ich bereitstellen kann, um ein vollständiges Handschriftmuster zusammenzustellen. Darüber hinaus ist es aber auch ein hervorragendes Werkzeug, um meine Schriften zu entwerfen und zu testen.
Es steht mir zwar nicht frei, die 14 Schriften preiszugeben, die ich für das St. Jude Kinderkrankenhaus entwickelt habe (vielleicht eines Tages), aber es gibt ein Handschriftmuster und die daraus resultierende Schrift, die ich Ihnen zeigen kann.
Dies ist die schöne Handschrift meiner Mutter, aus der ich eine Schrift gestaltet (untere Reihe) und sie ihr als Weihnachtsgeschenk gegeben habe – zusammen mit einem Muster von ihrer tatsächlichen Handschrift (oberste Reihe). Ich bin sicher, sie hätte nie gedacht, dass das Können ihrer Töchter gebündelt würde, um ihr ein so einzigartiges Geschenk zu machen.
Wenn ich zurückblicke, sehe ich, woran die Handschrift-Fonts älterer Generationen scheitern. Sie basierten auf der Idee der Handschrift, also darauf, wie die Handschrift von Hinz und Kunz aussehen könnte. Aber in Wirklichkeit wird eine Handschrift natürlich von der Person bestimmt, die mit ihr schreibt.
Unbeholfen zerquetschte E's, grandios geschwungene Q's, die völlig unterschiedlichen Beziehungen zwischen verschiedenen Buchstaben, wenn sie verschiedene Wörter bilden – all diese Dinge machen eine Handschrift nicht nur persönlich, sie machen sie auch schön. Mein Ziel war es, dies empirisch nachzubilden, und es war ein unglaublich bereicherndes Unterfangen.
LAURA WORTHINGTON ist eine Schriftgestalterin aus dem US-Bundesstaat Washington. Nach ihrer Ausbildung und Arbeit als Grafikdesignerin Mitte der 90er Jahre machte sie aus ihrer lebenslangen Begeisterung für Schrift und Typografie ein Geschäftsmodell und veröffentlichte 2010 ihre erste Schrift. Seitdem hat sie mehr als 100 Schriften veröffentlicht und die Hausschriften für etliche Fortune 500-Unternehmen entworfen. Lauras Schriften basieren auf ihrer eigenen Handschrift und Kalligraphie, ein Verfahren, das sie täglich weiter verfeinert. Sie finden ihre Schriften unter Laura Worthington Design.