Als Disziplin vereint das Schriftdesign die Fähigkeiten, die sowohl im Design als auch in der Bildenden Kunst erforderlich sind – Funktionalität ist für den Erfolg einer Schrift unerlässlich, auch wenn man dafür Abstriche in puncto Ästhetik machen muss. Ganz gleich, ob ein Schriftdesigner eine organische Handschrift nachbildet oder ein indigenes Alphabet digitalisiert – der Spagat zwischen Lesbarkeit und künstlerischer Aussage kann eine große Herausforderung sein.
Jo Malinis ist eine in Manila ansässige Schriftdesignerin, für die Kompromisse keine Option darstellen. Ihre Schriften sind eindrucksvolle Statement-Pieces, die ebenso funktional wie schön sind. Neben ihrer Lehrtätigkeit am UP Diliman College of Fine Arts widmet sich Jo den Bereichen Grafikdesign, Illustration und Markenidentität. Auch für die Community macht sie sich stark: So hat sie eine Schrift zugunsten der Design-Community von Manila entwickelt und Type63 gegründet, eine Plattform zur Präsentation typografischer Arbeiten philippinischer Designer.
Wir haben uns mit Jo über ihren Ansatz bei der Schriftentwicklung, die Stärkung der philippinischen Design-Community und ihre Inspirationsquellen unterhalten.
Wann wurde Ihnen zum ersten Mal klar, dass Sie im Designbereich arbeiten wollen, und wie sind Sie zum Schriftdesign gekommen?
JM: Meine Eltern sind beide kreativ tätig. Meine Mutter ist Redakteurin und mein Vater ist Grafikdesigner. Daher war es für mich ganz natürlich, ebenfalls im kreativen Bereich zu arbeiten. Ich bin zum Design gekommen, nachdem ich meinen Abschluss in Bildender Kunst gemacht hatte. Die Schrift habe ich später ganz zufällig für mich entdeckt. Mir wurde im Studio ein Projekt zugewiesen, bei dem ich für die Marke eine eigene Schrift erstellen sollte. Das war das erste Mal, dass ich einen solchen Auftrag erhalten habe. Ich wurde quasi ins kalte Wasser gestoßen. Und mich voll und ganz hineinzustürzen, war eine der besten Entscheidungen, die ich je getroffen habe.
Können Sie mir beschreiben, wie Sie beim Entwerfen von Schriften vorgehen?
JM: Am Anfang steht immer die Inspiration. Ohne Inspiration fällt es mir schwer, an etwas zu arbeiten. Also suche ich danach zuerst. Anschließend folgt die Recherche. Dann beginne ich zu skizzieren und nach einigen Skizzen fange ich mit der Digitalisierung an. Mit Photoshop oder Illustrator versuche ich zunächst, die Vektoren zu entwerfen. Danach setze ich mich mit den Glyphen auseinander und überlege, wie sie als brauchbare Schrift eingesetzt werden können. Dann heißt es überarbeiten, alle Formen korrigieren, verbessern und allem den letzten Schliff verpassen, bevor ich den Entwurf in eine Schrift exportiere, die tatsächlich verwendbar ist.
Und natürlich geht damit auch eine Runde von Tests einher. Das ist der Moment, in dem sich der Prozess wie eine Endlosschleife anfühlt. Wenn das geschafft ist, entwickle ich Beispielmaterialien, mit denen sich die Schrift ansprechend präsentieren lässt. Eigentlich denke ich die ganze Zeit darüber nach, wie ich die Schrift am besten zur Geltung bringe – das läuft also immer parallel ab. Dann stelle ich sie einfach in den Raum und hoffe das Beste.
Ich habe gehört, dass die Schrift „Hook“ (die ich übrigens ganz toll finde) vom „Aufhänger“ eines Songs inspiriert wurde. Außerdem habe ich mir Ihre Instagram-Seite angesehen. Die Musik ist offensichtlich eine große Leidenschaft von Ihnen. Welche Rolle spielt sie in Ihrem Designprozess?
JM: Noch bevor ich anfing, an Schriften zu arbeiten, habe ich festgestellt, dass ich ohne Musik zu hören nicht arbeiten kann. Es gelingt mir einfach nicht. Meistens höre ich beim Arbeiten ein bestimmtes Album oder eine spezielle Playlist, die ich dem entsprechenden Projekt zugewiesen habe. Das hilft mir, produktiv zu bleiben.
Ich mag Musik, vor allem wegen der Gefühle, die sie in mir auslöst – der Text, die Melodie und der Hintergrund des Künstlers fließen dabei mit ein. Das Wichtigste ist jedoch, wie ich mich fühle und wie ich auf die Musik reagiere. Ich kann es nicht wirklich erklären, aber es bringt meine Fantasie auf Hochtouren. Musik ist für mich tatsächlich die beste Inspirationsquelle, wenn es darum geht, etwas Abstraktes in etwas Konkretes und visuell Greifbares zu verwandeln.
Ich finde es großartig, wie Sie Ihrer Community mit Ihrer Arbeit etwas zurückgeben. Ich habe bereits einen Artikel über Salbabida Sans geschrieben, doch es wäre schön, wenn Sie unseren Lesern mit eigenen Worten ein wenig über diese Schrift erzählen: Wie ist sie entstanden und welchen Einfluss konnten Sie mit ihr erzielen?
JM: Salbabida Sans ist ein Projekt, an dem ich zuletzt ... Jetzt habe doch tatsächlich das Datum vergessen! Ich glaube, es war ungefähr letzten November, nachdem die beiden Super-Taifune die Philippinen heimgesucht und die Existenz vieler Menschen zerstört hatten. Darunter waren auch meine Freunde Pau und Dyam von Bad Student Press, einer Risografie-Druckerei hier auf den Philippinen. Es war die einzige Riso-Druckerei hier, die sich auf Kunstdrucke spezialisiert hatte.
Durch die Zusammenarbeit mit verschiedenen Designern hat sie die Community enorm unterstützt. Ihr Einfluss in der gesamten Gemeinde und insbesondere in der Design-Community war ungemein. Ihre Zerstörung war nicht nur ein Schlag für sie, sondern für alle.
Als ich mitbekam, dass meine Freunde Geld sammeln wollten, um ihnen wieder auf die Beine zu helfen, wollte ich auch etwas tun. Viele verkauften ihre Drucke und Kunstwerke, doch ich besaß zu der Zeit nichts von alledem, weil ich normalerweise nicht mit Drucken arbeite. Also wollte ich etwas schaffen, das mir entspricht (zum Beispiel eine Schrift), es verkaufen und den Erlös an Bad Student Press spenden.
Die ersten Varianten von Salbabida Sans waren übrigens Entwürfe, mit denen ich schon eine Weile experimentiert hatte. Meine ersten Zeichnungen der Buchstaben gab es also schon viel früher. Als dann der Taifun kam, habe ich einfach alle Zeichen vervollständigt und die Schrift zum Leben erweckt.
Der Name ist eigentlich erst danach entstanden, weil ich kein guter Werbetexter bin – oder überhaupt kein guter Texter. Also habe ich einige Freunde um Hilfe gebeten. Ich habe ihnen gesagt, der Name der Schrift darauf solle sich darauf beziehen, dass die Formen Rettungsbooten, Rettungswesten und aufblasbaren Schwimmkörpern ähneln. Einer schlug den Namen Salbabida vor – und dafür haben wir uns dann entschieden.
Im Juli 2020 haben Sie Type63 gegründet, eine fantastische Initiative, die auf die tolle und häufig vernachlässigte Arbeit philippinischer Schriftdesigner aufmerksam macht. Wie sind Sie darauf gekommen, Type63 ins Leben zu rufen?
JM: Ich habe ja schon erwähnt, dass ich durch Zufall zum Schriftdesign gekommen bin. Hier auf den Philippinen gibt es keine Programme speziell für Schriften, sodass mein gesamtes Wissen auf Internetrecherchen beruht. Als ich anfing, mich mehr mit dem Thema Schriftdesign zu befassen, ließen sich nur schwer Leute finden, mit denen ich mich austauschen konnte, insbesondere hier vor Ort. Ich hatte nur Kontakt zu ein paar wenigen, weil sie Freunde von Freunden waren. Abgesehen davon kannte ich niemanden. Das Ganze kam mir wie ein Ding der Unmöglichkeit vor. Trotzdem konnte ich mir nicht vorstellen, dass ich als einzige hier im Land mit Schriften arbeite.
Es half auch nicht gerade weiter, dass ich bei der Suche nach Schriftdesigns im Internet nur selten Arbeiten von philippinischen Designern entdeckt habe.
Dann bin ich auf den Instagram-Account von FEMME TYPE gestoßen, wo Schriftdesignerinnen und Designerinnen mit Fokus auf Typografie vorgestellt werden. Da dachte ich: „Oh, ich wünschte, so etwas hätten wir auch.“
Ich sprach mit einem Freund darüber und er meinte, ich solle doch einfach selbst den Anfang machen.
Ich hätte nie gedacht, dass so etwas möglich ist. Aber eigentlich muss es nur jemanden in der Community geben, der den ersten Schritt geht. Und damals hatte ich das Gefühl, dass dies meine Aufgabe war. Ich habe einen Instagram-Account erstellt, weil es die einfachste Option ist. Man meldet sich völlig unkompliziert mit einer E-Mail-Adresse an und erstellt ein Konto. Dann habe ich auf das Beste gehofft.
Die Resonanz war überwältigend und hat bis heute nicht nachgelassen.
Haben Sie Design-Helden, die Sie inspirieren?
JM: Hier vor Ort habe ich meinen Mentor. Sein Name ist Dan Matutina. Er ist auch der Chef des Designstudios, in dem ich arbeite: Plus63 Design. Er ist Illustrator und ein fantastischer Grafikdesigner, der mit dem Young Guns Award ausgezeichnet wurde. Ich schaue zu ihm auf, weil er nicht nur unglaubliche Arbeit leistet, sondern auch, weil er sehr großzügig mit seiner Zeit und seinem Wissen umgeht. Das hat meine Entwicklung als Designerin sehr beeinflusst.
Aus demselben Grund bewundere ich auch noch einen weiteren Designer: Felix Ng. Er ist aus Singapur und hat dort ein Studio namens Made By Anonymous mitbegründet.
Felix und Dan sind wirklich tolle Designer und sehr großzügig mit ihrem Wissen und ihren Ressourcen.
Im Hinblick auf das Schriftdesign sind die Schriftschmieden Klim Type Foundry, Grilli Type und Ohno Type Co meine Vorbilder.
Sie unterrichten Design am University of the Philippines Diliman College of Fine Arts. Wie sieht Ihr Lehrkonzept aus?
JM: Ich möchte meinen Studenten eine enge Betreuung bieten. Dabei will ich herausfinden, wo ihre Stärken liegen und ihnen helfen, diese weiterzuentwickeln. Jetzt in der Pandemie, wo alles online abläuft, ist das natürlich ein bisschen schwierig. Doch ich gebe mein Bestes und hoffe, dass es funktioniert.
Viele unserer Kunden sind Grafikdesigner. Daher wissen wir, wie wichtig das Finden der „richtigen“ Schrift sein kann. Hatten Sie jemals – bevor oder nachdem Sie mit dem Entwerfen von Schriften begonnen haben – ein Kreativ-Projekt, bei dem die richtige Schrift ausschlaggebend war?
JM: An ein konkretes Projekt kann ich mich nicht erinnern, doch ich finde, die Schrift gibt bei allen Projekten den Ton an. Da ich viel an Projekten zur Markenidentitätsentwicklung arbeite, ist die Wahl der richtigen Schrift, die die Marke optimal in Szene setzt, von entscheidender Bedeutung. Schließlich ist sie das, was die Menschen zuerst sehen. Insbesondere bei Logo-Projekten, die ausschließlich von den Schriften leben – zum Beispiel Logos ohne Symbole oder Zeichen, die stark von der Schrift abhängen – ist die Wahl der richtigen Schriften entscheidend.
Woran arbeiten Sie gerade? Was steht als Nächstes an?
JM: Im Moment versuche ich, eine Schrift namens Terno fertigzustellen. Sie basiert auf einem traditionellen Kleid der Philippinen, das sich durch markante Schmetterlingsärmel auszeichnet. Dies möchte ich in der Schrift verkörpern. Ich hoffe, das Projekt im Laufe des Jahres zum Abschluss zu bringen.
Wenn Sie jede Woche 60 Minuten mehr Zeit hätten, was würden Sie damit anfangen?
Ehrlich gesagt würde ich einfach nur schlafen. Auch wenn wir während der Pandemie von zu Hause aus arbeiten, komme ich immer noch schwer ins Bett. Wenn ich eine Extrastunde hätte, würde ich sie daher wirklich nur zum Schlafen nutzen.
Haben Sie eine absolute Lieblingsschrift?
Es ist gut, dass Sie „absolut“ gesagt haben, denn irgendwie ändert sich meine Lieblingsschrift immer mit den Jahreszeiten. Doch es gibt zwei, auf die ich regelmäßig zurückkomme: Newzald und National von Klim Type Foundry.
Sie haben einen besonderen Platz in meinem Herzen, weil ich durch sie die Welt der Foundries kennengelernt habe. Und nachdem ich sie entdeckt hatte, habe ich durch ihre Blogbeiträge auch den Entstehungsprozess der Schriften verstanden. Das hat mir wirklich die Augen geöffnet und mich auch bei der Entwicklung meiner eigenen Schriften beeinflusst. Die Foundries gehören zu meinen wichtigsten Inspirationsquellen.
Wenn Sie Schriften für Ihre Arbeit als Designer*in sammeln, brauchen Sie eine gut organisierte, leicht zugängliche Bibliothek, wo Sie immer die jeweils gesuchte Schrift finden. Mit einem Font-Manager haben Sie Ihre Schriftsammlung im Griff – und sind sofort einsatzbereit, wenn die Inspiration zuschlägt.