Eine Schrift mit Selbstbewusstsein: Im Interview erklärt Franz Hoffman von Fontself, wie die Schrift Gilbert eine neue Generation von Designern inspirieren wird

Geschrieben von Extensis | Juli 16, 2021

Großartiges Design kann uns inspirieren, vereinen und uns Hoffnung geben.

Großartiges Design kann Gespräche ins Rollen bringen und Veränderung hervorrufen, uns aus unserem Unwissen reißen.

1978 begann der Schwulenaktivist und Künstler Gilbert Baker ein neues Symbol für die schwule und lesbische Bewegung zu entwerfen, um das pinke Dreieck zu ersetzen – ein Überbleibsel der Nazis vom Zweiten Weltkrieg. Gilberts Erfahrung als geouteter schwuler Mann in San Francisco und sein Werk als Vexillograph gab ihm eine einzigartige Möglichkeit, die Bewegung an einem kritischen Moment hervorzuheben, als Menschen der LGBTQIA+-Gemeinschaft für gleiche Rechte kämpften. Gilbert konzipierte die Regenbogenflagge, welche er auf dem Platz der Vereinten Nationen am 25. Juni 1978 entfaltete, um die San Francisco Gay Freedom Day Parade zu feiern.

Gilbert schleuste alles, was er wusste und liebte, in das Design der Regenbogenflagge. Er füllte all seine Leidenschaft, sein Können und seine Hoffnung in eine Flagge, die jetzt eines der mächtigsten Symbole auf der Welt ist. Seit der ersten öffentlichen Enthüllung der Regenbogenflagge in San Francisco 1978, wurde sie zahlreiche Male überall in der Welt als ein Zeichen der Ermächtigung und Solidarität mit der LGBTQIA+-Gemeinschaft gehisst.

Gilbert verstarb am 31. März 2017. Großartige Designer werden durch ihr Werk verewigt, doch Gilberts Beitrag zur LGBTQIA+-Bewegung erwarb ihm eine unverwechselbare Form von Anerkennung. Um sein Vermächtnis zu ehren, haben sich Ogilvy New York, NewFest und NYC Pride mit Fontself zusammengeschlossen, um eine kostenlose Schriftart zu gestalten, die vom zeitlosen Design der Regenbogenflagge inspiriert ist. Passend zum Ursprung der Regenbogenflagge wurde diese Schriftart spezifisch für Schlagzeilen und Protestbanner entworfen.

Der Name dieser Schriftart? Gilbert. Und dies ist ihre Geschichte:

 

Type With Pride Web von chrisrowson auf Vimeo.

 

 

Ich wollte mehr über diese außergewöhnliche Schrift erfahren, und zwar von dem Mann, der sie möglich gemacht hat – Franz Hoffman, einem der Mitgründer von Fontself.

Andrew Rhodes: Die Geschichte, wie Fontself zur Mitarbeit an der Gilbert-Schriftfamilie kam, ist schon fast nicht zu glauben. Haben Sie so etwas schon mal erlebt?

Franz Hoffman: Die Gelegenheit, an einer so bedeutenden Schrift wie Gilbert mitwirken zu dürfen, war schon wirklich einmalig. Schließlich kommt es nicht jeden Tag vor, dass man zu einem Projekt mit universeller Bedeutung und Tragweite eingeladen wird. Wir hatten nie darüber nachgedacht, selbst eine Schrift zu veröffentlichen – doch hier haben wir eine Ausnahme gemacht. Wir wollten unbedingt, dass diese Schrift Wirklichkeit wird.

Das bunte Design, das sich das Team von Ogilvy ausgedacht hatte, entsprach genau dem, was der Designer der Regenbogenflagge, Gilbert Baker, in seinem markanten Werk zum Ausdruck gebracht hatte. Uns war klar, dass wir sofort loslegen und mit Volldampf daran arbeiten mussten, diese wunderschönen Buchstaben in eine der allerersten Farbvektorschriften zu verwandeln, die jemals geschaffen wurden. 

Heute sind wir wirklich stolz auf diese gemeinsame Aktion mit Ogilvy New York, NewFest und NYC Pride. Nicht nur wegen der Werte, die die Schrift verkörpert, sondern auch, weil wir begeistert darüber sind, wie sie auf der ganzen Welt zum Einsatz kommt.

AR: Das Gilbert-Schriftprojekt bestand aus vielen beweglichen Elementen und der Zeitplan war eng gesteckt. Welche Faktoren erleichtern Ihrer Erfahrung nach das Gelingen komplexer Kreativprojekte

FH: In diesem Fall half – wie bei vielen anderen kreativen Unterfangen auch – eine freiwillge Deadline, das Tempo vorzugeben und dafür zu sorgen, dass etwas Greifbares und Wertvolles entsteht. Doch wir sind immer wieder sehr glücklich, wenn die Deadline verlängert wird ;)

Es ist besser, sich an einen Plan zu halten und rechtzeitig zu liefern. Auf diese Weise kann man den Umfang der ersten Version reduzieren und später nach und nach Verbesserungen vornehmen. Dadurch steht das Team weniger unter Druck. Außerdem sind Sie so gezwungen, Ihr Werteversprechen herauszuarbeiten – ein zusätzlicher Vorteil.

Der einzige Nachteil dieses Ansatzes ist, dass er oft zu Kompromissen und Frustration führt. Ehrlich gesagt, könnte dies ein Preis sein, den man langfristig zahlen muss, da man einige Zugeständnisse nie wieder zurück erhält oder gar aufgehoben werden.

Wann immer Sie also auf solche Probleme stoßen, denken Sie daran, dass es besser ist, Kreativprojekte frei laufen zu lassen, als perfekte Pläne zu haben, die nie verwirklicht werden.

AR: Als Fontself mit Ogilvy New York, NewFest und NYC Pride an der Gilbert-Schrift zusammengearbeitet hat, wurde damit eine der Schlüsselfiguren im Kampf für LGBTQIA+-Rechte sichtbar. Welche anderen Fontself-Projekte haben die Aufmerksamkeit auf kulturelle Veränderungen wie diese gelenkt?

FH: Bis heute ist die Gilbert-Schrift das bekannteste Design, zu dem wir beitragen durften. Obwohl wir viele Beispiele für die Verwendung von DIY-Schriften in einem sozialen Kontext gesehen haben, die mit unserer Schrifterstellungssoftware Fontself Maker erstellt wurden, stehen wir unserer Meinung nach noch am Anfang einer neuen Ära: Wenn Schriften von einem allgemeinen Publikum aus Machern, Kreativen und Denkern gestaltet werden, können sie universeller und einfacher kreiert und verbreitet werden.

Deshalb möchten wir noch viel mehr Menschen dabei helfen, den Einstieg in die Schriftgestaltung zu finden. So können mehr Communitys die Schrift als zusätzliches Medium nutzen, um ihre Werte zu vermitteln und ihre Kommunikation zu bereichern 

AR: Welche Rolle wird die Typografie Ihrer Ansicht nach künftig bei der Förderung sozialer Gerechtigkeit spielen?

FH: Schrift, Handschrift und Schriftzüge standen schon immer an der Spitze moderner sozialer Bewegungen – angefangen bei Transparenten auf Demonstrationen bis hin zu Flugblättern oder Plakaten. Ob das Design gewollt ist oder nicht – die Worte stammen von enthusiastischen Menschen, die nach Möglichkeiten suchen, ihre Meinung und ihr Anliegen schriftlich zum Ausdruck zu bringen.

Wenn also eine wachsende Zahl von Aktivisten etwas über Typografie lernt und sogar die Feinheiten beherrscht, könnte dies dazu beitragen, dass Schrift zum Handwerkzeug von jedem gehört, der sich für sozialen Wandel stark macht.

AR: Fontself hat die Typografie in vielerlei Hinsicht demokratisiert. Können Sie uns ein paar Projekte von Fontself-Nutzern nennen, die Ihnen besonders gut gefallen haben?

FH: Am meisten freuen wir uns, wenn wir von Kreativen hören, die die Typografie für sich entdeckt haben und Projekte umsetzen, die sonst vielleicht nie das Licht der Welt erblickt hätten. Zum Beispiel von Tré Seals, einem jungen Grafikdesigner, der ganze Alphabete auf Grundlage von Transparenten aus der Bürgerrechtsbewegung der sechziger Jahre entworfen und das Unternehmen Vocal Type Co. gegründet hat.

Oft stammen solche Geschichten aus den unterschiedlichsten Teilen der Welt. Zum Beispiel gibt es wirklich stilvolle Entwürfe für eine Kathedrale in Moskau von Viktor Pushkarev oder Schriften für Kinder, die von ihren Lehrern in Australien sorgfältig ausgearbeitet wurden.

Es war auch sehr eindrucksvoll, die Kunstwerke von Designern, die an unserem Wettbewerb rund um die Gilbert-Schrift teilgenommen hatten, auf riesigen Bildschirmen auf dem Times Square in New York zu sehen. Und es war toll, individuelle Schriften bei internationalen Kampagnen zu sehen, beispielsweise das NIKE-Material für die Fußball-Weltmeisterschaft 2018 in England von Craig Ward.

Im Moment konzentrieren wir uns auf ein neues Projekt, das die Demokratisierung der Schrifterstellung hoffentlich weiter vorantreiben wird. Wir können es kaum erwarten, Ihnen mehr über die coolen neuen Schriftprojekte zu erzählen, die Kreative damit realisieren werden :)

For every story an organization creates, for every message a designer wants to share, they need the right fonts to bring their vision to life. If you already know and love the Gilbert font, please share this article and spread the word. And if you’re just learning about Gilbert for the first time, this font is for you. This font is for all of us.

Design with pride, create with pride… and the next time you type, type with pride.

Gilbert is the first third-party color font available on Adobe Fonts, and can be easily installed through the Adobe Creative Cloud App.