In der Odyssee versucht ein Mann, einen Weg nach Hause zu finden, wird jedoch zwanzig Jahre lang abgelenkt und schiebt die Schuld dafür auf die Götter. Seien Sie nicht wie Odysseus!
Ist unsere kollektive Konzentrationsfähigkeit auf einem historischen Tiefpunkt angelangt? Zumindest weiß ich, dass es bei mir so ist. Unsere Ablenkbarkeit nimmt zu. Natürlich können wir alle dies auf die jeweiligen Ereignisse in unserem Privatleben schieben, doch es lässt sich nicht leugnen, dass eine breite Masse von Menschen davon betroffen ist.
Johann Hari, Autor von Stolen Focus, (Abgelenkt) erklärt es so:
„Mit jedem Jahr, das verstrich, hatte ich das Gefühl, dass sich Dinge, die Konzentration erfordern, wie zum Beispiel das Lesen eines Buches, mehr und mehr anfühlten, als würde man eine Rolltreppe hinauflaufen. Ich konnte es zwar noch, doch es wurde immer schwieriger. Und ich stellte fest, dass es vielen anderen ebenso ging, vor allem den jungen Menschen, die ich kannte und liebte.“
Wir können den durch die globalen Ereignisse der letzten Jahre ausgelösten Stress und die ständige Ansprache durch unsere Smartphones dafür verantwortlich machen, die uns andauernd wie die Kekse in „Alice im Wunderland“ auffordern: „Iss mich!“ (Oder besser gesagt: „Schalte mich ein und lege irgendwelche Artikel in deinen Einkaufswagen, um einen kleinen Dopaminschub zu bekommen, anstatt zu schlafen.“) Sich ablenken zu lassen, fühlt sich für den Moment gut an. Belohnend. Entspannend. Es löst die Anspannung, die mit dem Konzentrieren verbunden ist. In Ihrem Gehirn werden sämtliche Glücksbotenstoffe ausgeschüttet und können sich austoben, während Sie endlich aufhören zu kämpfen. Auf Dauer fühlt es sich jedoch nicht gut an.
Ich werde an dieser Stelle nicht auf das Thema Produktivität eingehen, denn ich habe das Gefühl, dass wir aus vielen verschiedenen Richtungen damit bombardiert werden – und das ist nicht wirklich motivierend. Stattdessen möchte ich das Ganze aus einer emotionalen Perspektive betrachten. Es fühlt sich nicht gut an, wenn die geistigen Muskeln, die für die Konzentration verantwortlich sind, schlaff werden. Als ehemals eifriger Leser schmerzt es mich, dass ich seit Monaten kein Buch mehr zu Ende gelesen habe. Ein von der Kritik hochgelobter Film, der über zwei Stunden geht, ist für mich ein No-Go. Kreative Projekte und Beschäftigungen, die einst spannend für mich waren, klingen heute nach Anstrengung. Was können wir dagegen tun?
Leider können wir die Uhr nicht zurückdrehen oder unsere Smartphones ins Meer werfen. Verstehen Sie mich nicht falsch: Wenn Sie Ihr Smartphone symbolisch ins Meer werfen möchten, dann bin ich voll dafür, doch die Chancen stehen gut, dass Sie sich dann einfach ein neues kaufen müssen. Doch es ist noch nicht alles verloren! Es gibt konkrete Maßnahmen, die Sie ergreifen können, um sich wieder konzentrieren und bewusst mit Ihrer Zeit umgehen zu können. Schauen wir uns die Sache einmal genauer an.
Ich weiß, ich weiß. Jeder zählt das auf. Es ist wirklich nervig. Aber Meditation ist wie Sport fürs Gehirn – eine Aktivität, vor der man sich zunächst lieber drücken würde, weil sie etwas lästig ist und man lieber andere Dinge tun möchte, doch genau wie beim Sport sind die Vorteile vielfältig und unbestreitbar.
Wir wissen bereits, dass Meditation bei Stress, Ängsten und schlechter Laune hilft und eine bessere Selbstwahrnehmung fördert (was für alles gut ist – vom besseren Zuhörvermögen bis zum Konsumieren von weniger Keksen). Meditation kann aber auch aktiv dazu beitragen, unsere Konzentrationsfähigkeit zu verbessern.
Eine Studie hat ergeben, dass schon eine einzige, kurze Meditation die kognitiven Fähigkeiten und die Konzentration bei einfachen Aufgaben verbessert.
Aus evolutionärer Sicht ist es recht befremdlich, dass wir heute täglich mehr als acht Stunden vor einem leuchtenden Bildschirm verbringen. Sollten wir vorm Feierabend nicht eher frisches Obst unter Wasserfällen essen, Elche jagen oder etwas anderes in dieser Richtung tun?
Die Rückkehr zur Natur hat enorme Vorteile für nahezu jeden Aspekt unserer geistigen Gesundheit, einschließlich – Sie ahnen es schon – der Konzentration. Eine Studie hat nachgewiesen, dass Zeit in der Natur der Ermüdung des Gehirns vorbeugt und unsere Konzentrationsfähigkeit steigert.
Und geht es nur mir so oder fühlt sich eine Stunde im Wald länger an als ein Vormittag am Schreibtisch – und zwar auf gute Weise? Fühlen Sie sich nicht wie ein Versager, wenn Sie am Wochenende keine lange Wanderung unternommen haben. Auch ein zügiger Spaziergang oder ein paar Stunden Gartenarbeit mit wunderbar grünen Pflanzen können ein Gefühl des Wohlbefindens hervorrufen.
Bei der Verwendung von Handys, zusätzlichen Arbeitsmonitoren und Tablets sind Sie blauem Licht ausgesetzt, das mit einer Überanstrengung der Augen, Faltenbildung, und verschiedenen psychischen Problemen in Verbindung gebracht wird. Doch nicht nur das blaue Licht ist ein Problem
Auch Smartphone-Apps sind eine große Ablenkung. Ständig werden Benachrichtigungen angezeigt, die Sie über alles Mögliche informieren, zum Beispiel dass sich noch Artikel in Ihrem Einkaufswagen befinden oder dass Ihr Nachbar Fotos von Weinproben auf Instagram hochgeladen hat. Es ist fast so, als würde Ihnen jemand den ganzen Tag auf die Schulter klopfen und Sie unterbrechen. Tatsächlich erhält der durchschnittliche US-amerikanische Smartphone-Nutzer 46 Push-Benachrichtigungen pro Tag.
Und wissen Sie was? Wenn Konzentration ein Ausdauersport wäre, würden diese Unterbrechungen Ihre Zeit stark verschlechtern. Ihr Zeitfenster ohne Ablenkung schrumpft – und das nicht, weil Ihr innerer Monolog eine gute Idee fürs Abendessen hat.
Diese äußeren Ablenkungen zermürben unsere Konzentrationsfähigkeit und dann sind die inneren Ablenkungen noch schwerer zu ignorieren. Wann haben wir uns das letzte Mal bewusst länger als zehn Minuten ausschließlich mit einer bestimmten Sache beschäftigt?
Die Begrenzung der Bildschirmzeit trägt entscheidend dazu bei, die Konzentrationsfähigkeit zu verbessern. Manche legen ihr Handy einfach für eine gewisse Zeit weg um produktiv zu sein. Andere reduzieren die Bildschirmzeit vor dem Schlafengehen, was sich positiv auf die Schlafqualität auswirkt. Die Benachrichtigungen verschiedener Apps lassen sich in den Smartphone-Einstellungen deaktivieren. Löschen Sie vorübergehend die Apps, die Ihre Aufmerksamkeit schwächen (TikTok, Instagram – ja, wir meinen euch). Aktivieren Sie den Flugmodus (mein persönlicher Favorit). Ironischerweise können Sie sogar mobile Apps herunterladen, um Ihre Smartphone-Nutzung einzuschränken.
Wenn es Ihnen wie mir geht, legen Sie Ihr Telefon vielleicht nur ungern weg, denn es zeigt Ihnen Wegbeschreibungen an, spielt Ihre Musik ab und gibt Ihnen die Möglichkeit, Ihre Eltern mit aktuellen Fotos von Ihrer Gartenarbeit zu begeistern. Die Trennungsangst führt dann dazu, dass Sie überkompensieren, zum Beispiel indem Sie fünfmal Ihr Outfit wechseln oder zu viel Geld für leckeren Eiskaffee ausgeben – oh, zu viele Informationen? Die gute Nachricht ist jedenfalls, dass es nicht nötig ist, Ihrem iPhone für immer abzuschwören.
Eine Studie hat ergeben, dass schon die Reduzierung der Bildschirmzeit um eine einzige Stunde pro Tag Stressgefühle reduziert und gleichzeitig die Konzentration, die Produktivität und den Schlaf verbessert.
Häufig denken wir, dass Unterstimulation nur neurodivergente Menschen oder unruhige Kleinkinder betrifft. Wenn eine Aufgabe jedoch schlichtweg langweilig ist, kann der Drang, etwas ganz anderes zu tun, unwiderstehlich werden.
Es klingt vielleicht etwas unlogisch, doch manchmal ist eine Prise Ablenkung auch durchaus sinnvoll.
Nein, nein, das ist zu viel! Legen Sie den Xbox-Controller zurück!
Um einer Aufgabe etwas mehr Würze zu verleihen, müssen Sie nicht gleich zum Meisterkoch werden. Eine Messerspitze Salz oder ein Hauch Pfeffer reichen aus, um uns zu stimulieren. Damit meine ich zum Beispiel eine Spotify-Wiedergabeliste, die den Geist anregt, ohne ihn zu sehr anzuheizen. Oder Ihren Laptop einzupacken und sich an einen sonnigeren Ort zu begeben. Eine Duftkerze anzuzünden. Einen Timer zu stellen und dann eine Pause einzulegen und die drei unverzichtbaren Getränke (Wasser, heißes koffeinhaltiges Getränk und Saft/Smoothie/kaltes koffeinhaltiges Getränk) nachzufüllen, die jeder Einzelkämpfer braucht.
Manchmal braucht man einfach einen Tick mehr Anregung, damit die Aufgabe nicht so langweilig ist.
Wenn wir eine aufwändige Aufgabe wie die Aktualisierung einer veralteten Kalkulationstabelle übernehmen, kann sich unsere Ablenkbarkeit verstärken. Umgekehrt können wir aber auch unser Umfeld verbessern, indem wir unsere Zeit und Energie bewusst für Aufgaben aufwenden, die uns Freude bereiten, unsere Neugierde wecken und unsere Aufmerksamkeit fordern.
Welche Aufgaben das sind, ist bei jedem anders und kennt praktisch keine Grenzen. Ehrgeizige Projekte wie ein Landschaftsgemälde, für das Sie Monate brauchen, klingen perfekt, oder? Doch selbst wenn Sie im Moment nicht die Zeit dafür haben, können Sie alltägliche Aufgaben belohnender gestalten, indem Sie sie ganz bewusst erledigen. Die Zubereitung eines Rezepts zum Abendessen, die gründliche Reinigung eines Geräts oder das Anlegen von Bodendeckern in einem Gartenbeet (bist du nicht stolz, Papa?) können allesamt unglaublich erfüllende Aktivitäten sein. Und wenn wir sie durchziehen und zu Ende bringen, erinnern wir uns daran, dass wir es immer noch drauf haben. Wir können uns noch anstrengen, eine Aufgabe beginnen und sie abschließen. Übung macht den Meister. Je mehr Sie sich den Erfolg vor Augen führen, sich selbst zur Konzentration anspornen und die anstehende Aufgabe erledigen, desto einfacher wird es.
Unordnung kann unglaublich ablenken. Für diesen Artikel unterteile ich sie in drei Unterkategorien: physische Unordnung, geistige Unordnung und Aufgabenunordnung.
Physische Unordnung ist am offensichtlichsten. Wenn Sie Ihren Schreibtisch aufräumen, können Sie sich besser auf Ihre Arbeit konzentrieren.
Geistige Unordnung ist für mich das, was im Kopf weggeräumt werden sollte, aber nicht weggeräumt wird. Warum auch immer, manchmal können wir einfach nicht aufhören, uns Gedanken übers Weihnachtsmenü zu machen oder darüber, ob unsere Scherze in der Mittagspause falsch verstanden wurden. Wie räumt man diese ablenkenden Gedanken am besten weg? Notieren Sie sie sich und machen Sie weiter.
Dann gibt es noch die Aufgabenunordnung. Mitunter ist eine Aufgabe einfach in etwas anderes eingebettet. Es lohnt sich, über Prozesse nachzudenken und zu überlegen, wie man eine Aufgabe optimieren kann. Außerdem hilft es, wenn Sie ablenkendes digitales Durcheinander beseitigen, um sich auf Ihre eigentliche Aufgabe konzentrieren zu können.
Wenn Sie nicht in einer Höhle leben möchten, gibt es aus unserer extrem ablenkenden Welt kein Entrinnen. Und wir haben das Leben in einer Höhle getestet, weil die Mieten hier so hoch sind. Leider hat sich herausgestellt, dass niemand Essen dorthin liefert und die Schulen in der Nachbarschaft nicht besonders gut sind. Was wir tun können, ist, uns an die Arbeit zu machen und uns wieder die entscheidende Fähigkeit der Zielstrebigkeit und des Selbstbewusstseins anzueignen.
Wir können die Freude daran zurückgewinnen, bei der Arbeit, bei Hobbys und in Beziehungen präsent zu sein. Denn wissen Sie was? Beim Konzentrieren geht es nicht um Produktivität. Sie ist ein netter Nebeneffekt, doch im Grunde geht es darum, präsent zu sein und bewusst zu handeln – im Moment zu leben.
Konzentrieren Sie sich einfach auf das Positive und Sie haben eine glänzende Zukunft vor sich.